Rotaract, die neue Rotary-Generation

Zugang zu Foundation Grants wird Rotaract zu mehr Wirkung verhelfen

Text: Frank Bures

Im Jahr 2018 besuchte der Präsident von Rotary International, Barry Rassin, die Türkei zu einem Distrikttreffen. Seine Gastgeber/innen nahmen ihn mit, um einige Projekte zu besichtigen - doch zu seiner Überraschung handelte es sich nicht um Projekte von Rotary Clubs. Es waren Projekte von Rotaract Clubs.

Eines davon war ein Kurs, den Rotaracter/innen für angehende Universitätsstudent/innen entwickelt hatten, um ihnen das Leben auf dem Campus zu erleichtern. Ein anderes war ein Programm in einem örtlichen Krankenhaus, bei dem die Clubmitglieder jede Woche ein neues Spiel mitbrachten, das sie mit den Kindern spielten. "Es war fantastisch", erinnert sich Rassin an diese Aktion. "Es hat die ganze Einstellung der Kinder im Krankenhaus verändert."

Danach kam Rassin ins Grübeln: Warum wurden Rotaract Clubs als ein Programm von Rotary betrachtet, wenn viele von ihnen die gleiche Arbeit wie Rotary Clubs leisteten? "Für mich war das eine Verschwendung von Ressourcen", sagt er. "Diese Leute haben Rotary verstanden. Sie wollten dazugehören, aber sie wollten es auf ihre eigene Weise tun. Sie waren begeistert von unserem humanitären Engagement, mit dem wir die Welt besser machen".

Rassin schlug vor, Rotaract zu einer Art Mitgliedschaft zu erheben, und heute sind fast eine Viertelmillion Rotaracter/innen in aller Welt Vollmitglieder von Rotary. Das heißt, dass Rotaract Clubs ab dem 1. Juli auch Grants der Rotary Foundation beantragen und erhalten können. 

Dies ist eine wichtige Entwicklung, sagt Sarah Grosse-Vollmer, Mitglied des Rotaract Clubs Saarbrücken, "denn wenn man sich Rotaract weltweit anschaut, machen wir ziemlich große Projekte". Als Grosse-Vollmer beispielsweise 2020/21 Rotaract-Sprecherin für den Distrikt 1860 war, arbeiteten die Rotaract Clubs des Distrikts mit den Rotary Clubs an einem Global Grant zur Entwicklung von Jugendprojekten in der Region Rarieda im Westen Kenias. Ihre Bemühungen trugen dazu bei, ein Programm mit Mikrokredittraining, Familienplanung, Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt und Menstruationsbedarf anzubieten.

"Ursprünglich wollten wir nur ein kleines Projekt durchführen, um einen Ort zu schaffen, an dem die Menschen Sport treiben oder Spaß haben können", sagt Grosse-Vollmer. "Aber nachdem wir über den Global Grant gesprochen hatten, wurde es einfach immer größer". Am Ende besuchten die Mitglieder etwa 60 Rotary Clubs in ganz Deutschland, um über ihre Idee zu sprechen, und sammelten über 100.000 Dollar.

Der Saarbrücker Club führt auch lokale Projekte durch, darunter die Bereitstellung von Decken für ein örtliches Obdachlosenheim und von Hilfsgütern für Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind. "Bei Rotaract konzentrieren wir uns mehr auf praktische Projekte, weil wir meistens kein Geld haben, um ein Projekt einfach zu finanzieren", sagt Grosse-Vollmer.

Doris Grimm, die ebenfalls Deutsche ist, lebte in Spanien, als ihr jemand von Rotaract erzählte. "Sie sagten: 'Du wirst Freundinnen und Freunde treffen. Du wirst dein Spanisch verbessern. Und du wirst auch noch etwas Gutes in der Welt tun", sagt sie. Sie ging zu einem Treffen und war beeindruckt von einem Projekt, an dem der Club in dem Dorf Gambasse in Guinea-Bissau arbeitete. "Sie haben dort eine Schule gebaut", sagt sie. "Sie haben ein Ernährungszentrum gebaut. Und es war nachhaltig. Es war nicht so, dass sie kamen, Geld gaben und wieder gingen. Ich war so beeindruckt von Rotary und Rotaract, dass ich Mitglied wurde." Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland trat Doris dem Rotaract Club Mannheim bei. Und auch als sie wieder ins Ausland zog, blieb sie Rotaract verbunden. Sie war Mitglied in einem Club in der Schweiz und beriet später einen neuen Club in North Carolina, USA.

Santiago Gómez wuchs in einer kleinen Stadt in Kolumbien auf und war Mitglied bei Interact. Als er zum Studium nach Bogotá zog, half er bei der Gründung des Rotaract Clubs Bogotá Bicentenario. Dort arbeiteten er und sein Club mit dem Rotary Club Bogotá-Santa Barbara zusammen, um ein Global-Grant-Projekt für ein Positive Peace-Programm zu realisieren. Im Rahmen dieses Programms führten sie Workshops durch, um junge Menschen im ganzen Land in den Bereichen Führung, Rotaract, Konfliktprävention und Konfliktlösung zu schulen. Seit Kurzem ist Gómez Mitglied im Rotary Club Bogotá Centenario und arbeitet an einem weiteren Projekt, das Frauen, die Opfer eines Konflikts wurden, bei der Gründung eines Bekleidungsunternehmens unterstützt.

Wie viele seiner Altersgenossen hat er seine Mitgliedschaft in seinem Rotaract Club beibehalten und hält den neuen Status von Rotaract für einen großen Schritt nach vorn. "Ich denke, es ist eine Chance, das Vertrauen zwischen Rotary- und Rotaract-Mitgliedern zu stärken", sagt er.

Doris Grimm, die jetzt dem Rotary Club Hockenheim (Deutschland) angehört, hat auch einige Erkenntnisse über den Unterschied zwischen Rotaract und Rotary Clubs. "Meiner Erfahrung nach gibt es auf beiden Seiten eine Menge Vorurteile", sagt sie. "Wenn man Rotaract-Mitglieder fragt, warum sie nicht in Rotary eintreten wollen, sagen sie, dass die Leute nur herumsitzen und nichts tun. Und die Rotary-Mitglieder denken, Rotaracter/innen seien zu jung und hätten keine Erfahrung. Ich denke, beides ist falsch."

Gómez stimmt zu, dass es auf beiden Seiten Veränderungen geben muss. "Ich denke, unsere Rotary Clubs müssen flexibler sein", sagt er. "Einige Rotary Clubs hier in Kolumbien halten an Traditionen fest, die im Moment nicht wirklich notwendig sind. Und auch die Rotaracter/innen müssen ihre Mentalität ändern, denn das Clubleben und das Management von Rotaract und Rotary Clubs ist zu unterschiedlich."

Barry Rassin und andere hoffen, dass die Aufwertung von Rotaract dazu beitragen wird, diese Kluft zu überbrücken. "Wir wollen den Rotaract-Mitgliedern ein größeres Gefühl des Respekts und der Einbeziehung geben, damit sie sich in die Organisation integriert fühlen", sagt er.

Rotaracter können nun über das 30. Lebensjahr hinaus in ihren Clubs bleiben, was für mehr Stabilität und weniger Verlust von Know How sorgt. Und das verstärkte Zugehörigkeitsgefühl könnte dazu führen, dass mehr junge Menschen Rotary Clubs beitreten, wenn sie sich beruflich und privat weiterentwickeln. In jedem Fall wird Rotaract anders gesehen als in der Vergangenheit. "Ich glaube, Rotary sieht, dass wir Großes leisten können", sagt Gómez. "Und das ist die wirkliche Unterstützung, die wir brauchten."

"Für Rotary-Mitglieder wird es ein Lernprozess sein", sagt Doris Grimm. "Wie gehen sie jetzt mit ihren Rotaracter/innen um? Es ist ja nicht so, dass dies Kinder sind, denen wir etwas beibringen müssen. Wir reden hier von gleichberechtigten Partner/innen. Und wir arbeiten noch daran, herauszufinden, worin diese Gleichstellung besteht. Aber ich denke, die Rotary-Mitglieder werden erstaunt sein, welches Potenzial ihnen mit diesen Rotaract-Mitgliedern zur Verfügung steht - vor allem in Bezug auf diejenigen, die sich um ein Global Grant bewerben werden."

"Manche sagen, dass Rotary sehr elitär sei, während Rotaract sehr frei und offen sei", meint Frau Grosse-Vollmer dazu. Aber für sie scheinen die beiden nicht so unterschiedlich zu sein. "Rotaract ist ein guter Weg, um in die Rotary-Familie einzutreten", sagt sie.

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